Der Gefühlsrevolutionär – Fontane und die Revolution von 1848

Barrikadenkampf in der Breiten Straße in Berlin in der Nacht vom 18./19. März 1848, kolorierte Lithographie, Druck im Verlag Winckelmann, ca. 1848 / Quelle: Deutsche Digitale Bibliothek

von Gabriele Radecke und Robert Rauh

Verstört stürzten die Menschen durch die Straßen. Andere wirkten eher ernst und entschlossen. Sie alle kamen vom Schlossplatz gerannt, wo nach einer zunächst friedlichen Kundgebung mit dem König das preußische Militär auf die Demonstranten geschossen hatte. Innerhalb weniger Stunden wurden im Stadtzentrum rund 200 Barrikaden errichtet. Auch in der Straße, in welcher der 30-jährige Apothekergehilfe Fontane das Berliner Revolutionsgeschehen am 18. März 1848 beobachtete. Für den Barrikadenbau, erinnerte er sich fünfzig Jahre später, wurden vorbeifahrende Droschken einfach „angehalten und umgestülpt“. In Fontane erwachten Heldengefühle und Erinnerungen an Heldenballaden, die „von der ungeheuren Macht des Sturmläutens“ erzählen. Aber der alte Fontane war weit davon entfernt, sich rückblickend zum Revolutionshelden zu stilisieren. „Dass ich in Thaten sehr hinter diesen Gefühlen zurückblieb, sei hier gleich vorweg gesprochen.“

In „einer fieberhaften Erregung“ lief er zur nahegelegenen Georgenkirche, um mit dem Sturmläuten zu beginnen. Weil die Kirche jedoch verschlossen war und es ihm nicht gelang, zum Öffnen der Tür einen schiefen Holzpfahl aus der Erde zu ziehen, scheiterte sein „Debut als Sturmläuter“. Und als er anschließend schweißtriefend in einen „Arbeiterhaufen“ geriet, der das Königsstädtische Theater „im Sturm“ eroberte und in der Requisitenkammer Waffen erbeutete, schlug auch sein Kampfeinsatz fehl, weil das von ihm ergatterte Gewehr verrostet war. „Kleinlaut“ zog er sich auf sein Zimmer zurück.

Der Apothekergehilfe: Fontane mit 23 Jahren, Zeichnung von Georg Friedrich Kersting, 1843
Quelle: Wikipedia

Naiver Mitläufer?

Obwohl sich Fontanes ironischer Rückblick auf die Revolutionstage stellenweise liest wie der „abenteuerliche Simplicissimus“, der jetzt ziellos durch neuzeitliche Unruhen irrt, wird in der Forschung noch immer behauptet, Fontane wäre „als Barrikadenkämpfer des 18. März“ aktiv beteiligt gewesen. Dabei sahen bereits einige Rezensenten der 1898 veröffentlichten Autobiografie „Von Zwanzig bis Dreißig“ in Fontane einen „ganz harmlosen Patron“. Er sei „keineswegs ein Aufrührer“, schrieb der Journalist Theodor Hermann Pantenius, „sondern bestenfalls ein naiver Mitläufer“. Als literarische Helden der Märzrevolution gingen andere in die Geschichte ein: Ferdinand Freiligrath beteiligte sich an den Kämpfen in Düsseldorf, Georg Herwegh führte in Baden ein Revolutionszug an und Gottfried Kinkel marschierte in Bonn mit einer schwarz-rot-goldenen Fahne an der Spitze einer Demonstration.

Passiv blieb Fontane allerdings nicht. Er griff aber nicht mehr zu den Waffen, sondern nutzte andere Mittel. Im Mai 1848 gab er sein „Debüt“ als Politiker. Er kandidierte im 111. Berliner Wahlbezirk als Wahlmann für das gesamtdeutsche Parlament in Frankfurt/Main und hielt nach eigener Auskunft seine „erste glänzende Rede“, die mit einer Kompromissformel endete: „Liebe zum Volk, aber auch Liebe zum König“. Fontane gewann.

Nur wenige Wochen später war aus dem Verfechter einer konstitutionellen Monarchie ein radikaler Demokrat geworden. In seiner Autobiografie erwähnt er etwas nebulös die temporäre Tätigkeit bei einem „liberalen Blatte“, was ihm unter seinen Apothekerkollegen Respekt verschafft hätte. Von der Brisanz dieser Beiträge in dem Revolutionsorgan „Berliner Zeitungshalle“, mit denen er zugleich als politischer Journalist debütierte, erfährt man jedoch nichts. Bereits Fontanes erster Artikel „Preußens Zukunft“ vom August 1848 erregte Aufmerksamkeit. Darin sah er den „konstitutionellen Kaiser“ nur als Durchgangsstadium zu einer „großen deutschen Republik“. Ein deutscher Nationalstaat werde „schwere Opfer fordern. Das schwerste unter allen bringt Preußen. Es stirbt.“ Fontane forderte politischen Selbstmord. Preußen, solle sich „todesmutig die Speere ins Herz [drücken], um der Größe des Vaterlandes willen.“ Der Autor preußischer Heldenballaden sprach dem „jetzigen Preußen“ (seit Friedrichs Eroberungen) nicht nur die Geschichte, sondern auch die Zukunft ab.

Ein „kleiner, trefflich geschriebener Aufsatz“, notierte der Schriftsteller und Diplomat Karl August Varnhagen, „Dies hat mich sehr ergriffen. Es ist viel Wahres darin.“ Und viel Hellsicht. Denn die Alternative zum Zerfall Preußens, konstatierte Fontane, wäre eine Einheit ohne Freiheit. „Nein, keine Freiheit um jeden Preis“, gab er als „Losung des Tages“ in einem Artikel vom November 1848 aus. „Dann ist die Zeit nahe, wo kein Schwanken mehr ist, ‚ob einig oder frei?‘, dann werden wir einig sein durch die Freiheit und frei sein durch die Einigkeit.“

Im Kreis der Rebellen

Zu dieser Zeit war – nicht nur in Preußen – die Gegenrevolution schon in vollem Gange. Und Fontane geriet wieder ins Revolutionsfieber. Die königlichen Entscheidungen „der letzten Tage“, wie die Ernennung von General Ernst von Pfuels zum Ministerpräsidenten und Kriegsminister, schrieb er im September 1848 seinem Freund, dem Dichter und Offizier Bernhard von Lepel, „erklären geradezu die Contre-Revolution und fordern zum Kampf heraus“. Weil der Augenblick Taten erheische, verlangte er einen Freundschaftsdienst: „eine alte[,] aber gute Büchse“. Der monarchisch gesinnte Lepel, der die Freundschaft auf eine harte Probe gestellt sah, reagierte prompt. Fontane sei jetzt „ein unglückselig Verblendeter“. Anders sei dessen „Eintritt in den Kreis der Rebellen“ nicht zu erklären. Er forderte Fontane auf, die Bitte nach einem Gewehr mündlich zu wiederholen – „ohne zu lachen“. Woraufhin dieser zurückruderte. Er habe sich „lächerlich gemacht“ und die Zeilen „in höchster Aufregung, rein Gefühl, ohne alle Ueberlegung geschrieben“. Damit degradierte sich Fontane erneut zum Gefühlsrevolutionär.

Seiner republikanischen Gesinnung blieb er aber treu: „Ein gutes und gesittetes Volk“, schrieb er am 12. Oktober an Lepel, sei „immer reif für die Freiheit.“ Und Deutschland sei „reif für die schönste Republik“. Es sei eine scheußliche Verhöhnung, in der Knechtschat reif für die Freiheit zu werden. „[N]ur in der Freiheit wird man frei.“

Mussten ohne Fontane kämpfen: Rückmarsch der Schleswig-Holsteinischen Truppen im Jahre 1849 auf einer Pontonbrücke über die Schlei, undatierte Lithografie (Ausschnitt) / Quelle: Repro/MOZ

Nachdem die Revolution 1849 gescheitert war, schlitterte der politisch desillusionierte Fontane auch in eine existenzielle Krise. Kurzzeitig plant er sogar, nach Amerika auszuwandern. Beruflich wollte er kein Apotheker mehr sein und privat war ihm das Junggesellenleben „ganz gründlich zuwider“. Da packte Fontane noch einmal der Wille zur politischen Tat. Im Sommer 1850 beschloss er, in die schleswig-holsteinische Armee einzutreten, die im Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung gegen den dänischen König gerade eine Niederlage erlitten hatte. Die Front noch nicht gesehen, erreichte Fontane in Altona der Brief eines Freundes, der ihm eine Stellung in der Preßabteilung des Innenministeriums anbot. Umgehend kehrte Fontane um. Er trat die Stelle am 1. August 1850 an; zwei Monate später heiratete er. „Der Mensch bleibt Egoist“, kommentierte er die Entscheidung in seiner Autobiografie. In diesem Augenblicke habe „doch das Ich über das Allgemeine“ gesiegt. Fontane warf damit nicht alle demokratischen Ansichten über Bord, aber sein Intermezzo als zur Tat unfähiger Revolutionär war vorbei.

Quelle

Literatur

  • Theodor Fontane: Nur in Freiheit wird man frei, mit einem Vorwort von Iwan-Michelangelo D’Aprile, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023.
  • Hubertus Fischer: Theodor Fontane, der „Tunnel“, die Revolution. Berlin 1848/49, Stapp Verlag, Berlin 2009.
  • Hubertus Fischer: „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten“ – Wilhelm von Merckel und die Revolution von 1848/49. Ein politisches Zeitbild; in: Fontane Blätter, Potsdam, Heft 82, 2006, S. 60–87. 
  • Hubertus Fischer: Theodor Fontanes Achtzehnter März. Neues zu einem alten Thema; in: Fontane Blätter, Potsdam, Heft 65/66, 1998, S. 163–187. 

Weblinks

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