Wilhelm Gentz – Bilder und Bananen

Der Schlangenbeschwörer, Ölgemälde von Wilhelm Gentz, 1872, Foto: Hannes Mattner

von Gabriele Radecke und Robert Rauh.

Wie Fontane zum Wegbegleiter des Orientmalers wurde

Höflich bat der Vater um die Aufnahme des verlorenen Sohnes. Das väterliche Gesuch aus der Mark richtete sich an die „Königlich Preußische Akademie der Künste“ in Berlin. Gemeint war aber nicht der begabte Sprössling, sondern dessen Gemälde „Der verlorene Sohn“ (1849), das noch in der bereits eröffneten 37. Kunstausstellung 1850 gezeigt werden sollte. „Der Verfertiger desselben ist mein Sohn, mit Namen Wilhelm Gentz aus Neu-Ruppin“, heißt es in dem bislang unbekannten Schreiben des Vaters Johann Christian Gentz vom März 1850. Weil das Bild „erst gestern aus Paris“ eingetroffen und sein Sohn „zur Zeit in Ägypten“ sei, bitte er um Entschuldigung, „nicht schon früher Anzeige davon gemacht“ zu haben.

Mit dem Gleichnis vom verlorenen Sohn hat die Gentz’sche Familiengeschichte nicht viel gemeinsam. Zwar war Gentz auch Vater zweier Söhne, von denen der eine tatsächlich mit dem väterlichen Geld in die Fremde gezogen war. Aber Wilhelm lebte nicht „in Saus und Braus“ wie das biblische Vorbild, sondern investierte es in eine internationale künstlerische Ausbildung. In Berlin hatte das Anwerben des Vaters Erfolg. Das leider verloren gegangene Gemälde mit dem vollständigen Titel „Der verlorene Sohn gedenkt des Vaterhauses im Elend“ wurde noch in die laufende Akademieausstellung unter der Nr. 1301 aufgenommen und erfuhr, wie sich ein Kunstkritiker später zu erinnern wusste, „sowohl seitens des Publikums wie der Kritik eine sehr günstige Aufnahme“. Der Kritiker war Theodor Fontane. Er wurde zum Wegbegleiter des außergewöhnlichen Malers Wilhelm Gentz.

Gesuch für den Sohn: Brief von Wilhelm Gentz an die Königliche Akademie der Künste, 28. März 1850
Quelle: Archiv der Akademie der Künste

Keine Jugendfreunde

Dass die beiden sich begegneten, war kein Zufall. Theodor Fontane (1819-1898) und Wilhelm Gentz (1822-1890) sind in Neuruppin geboren und besuchten das dortige Gymnasium. Beruflich kreuzten sich ihre Wege erst wieder an der Akademie der Künste, in der Gentz 1874 Mitglied und Fontane zwei Jahre später sein kurzes Intermezzo als „Erster Ständiger Sekretär“ hatte. Aber sie waren, wie zuweilen behauptet wird, keine Jugendfreunde. In Neuruppin sind sich die beiden, die sich zeitlebens siezten, höchstens auf der Straße oder in der Schule begegnet, als der drei Jahre ältere Theodor aus Swinemünde 1831/32 in seine Geburtsstadt zurückgekehrt war. Und erst Jahrzehnte später gelang es Fontane, wie er seiner Schwester Elise mitteilt, „auch mit Wilhelm Gentz und Frau [Ida] in gesellschaftliche Verbindung“ zu treten. Beide seien „angenehme Wirthe, bei denen man interessante Leute trifft“. Die Verbindung hielt, denn Fontane berichtet in seinen Briefen immer wieder, an einer „Abendgesellschaft bei Wilhelm Gentz“ teilgenommen zu haben. Gentz hätte es geliebt, schreibt er in den „Wanderungen“, in seinem „orientalisierten“ Haus in Berlin den Gästen, „auf gut afrikanisch, Bananen vorzusetzen“. Die Früchte würden ausdrücken, dass man sich „nicht auf einer Alltagsheide, sondern auf einem besonderen Boden befindet“.

Zu dieser Zeit war Wilhelm Gentz bereits ein mehrfach ausgezeichneter Künstler, dessen Gemälde nicht nur in der Berliner Akademie ausgestellt wurden. Nach längeren Studienaufenthalten in Antwerpen und Paris, Spanien und Marokko, Ägypten und Palästina hatte er sich auf die Orientmalerei spezialisiert und mit seinen Bildern auch die Aufmerksamkeit des preußischen Königshauses erregt. Gentz wurde beauftragt, die Reise des Kronprinzen Friedrich Wilhelm zur Eröffnung des Suez-Kanals 1869 als Einzug Jesus in Jerusalem propagandistisch in Szene zu setzen. 1873 erhielt er eine Dienstreise nach Jerusalem spendiert und drei Jahre später für das Gemälde die Große Goldene Medaille der Akademie der Künste.

Wilhelm Gentz: Sr. Kaiserlichen Hoheit des Kronprinzen von Deutschland Einzug in Jerusalem im Jahre 1869, Ölgemälde, 1876 (rechts im Bild hat sich der Maler auf dem Esel selbst porträtiert.)
Quelle: Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

Vom seelenlosen Maler zum glänzenden Künstler

Kritisch begleitet wurde Gentz’ Karriere als Bildender Künstler von Theodor Fontane, der nicht nur Romane und die „Wanderungen“, sondern auch Kunstkritiken schrieb. Anfänglich war Fontane alles andere als begeistert. In seiner Besprechung der Akademie-Ausstellung von 1862 attestierte er den „beiden Gentzschen Bildern“ mit ägyptischen Motiven Seelenlosigkeit. Es seien „Bilder zur Belehrung; aber sie dienen weder dem Geist noch der Schönheit“. Die positive Reaktion der Ausstellungsbesucher beeindruckte ihn dabei nicht. Das Publikum sei „von einem blinden Respekt vor Wüste, Mekka-Karawane, Weitgereistsein“ geleitet und würden „eine mehr oder minder brillante Farbenleinwand zu einem Kunstwerk höherer Gattung erheben“.

Schon zwei Jahre später fiel das Kritikerurteil deutlich besser aus. Fontane bezeichnete Gentz nun als einen „ausgezeichneten Koloristen“, dessen neue Arbeiten sich im Sinne der Kunstgesetze „als mustergültig erweisen“. Und 1866 waren Fontanes „prinzipielle Bedenken“ dann ganz verflogen. Auf dem Gemälde „Markt in Kairo“ würden im Hintergrund die „Farbpünktchen“ – anders als bei früheren Bildern – eine „treffliche Illusion“ für das „Gewühl des Marktes“ schaffen und im Vordergrund erkenne man nicht nur klar „das Massenhafte, das verschwimmend Unbestimmte eines solchen orientalischen Marktes, sondern auch alle Details“. Das Bild zähle, hielt Fontane schon nach seinem Ausstellungsbesuch im Notizbuch fest, „zu seinen besten Sachen“. Aber der Kunstkritiker war noch zu einer Steigerung fähig. Als Gentz auf der Akademieausstellung 1874 nicht vertreten war, kommentierte Fontane, „nur einige der Glänzendsten glänzten diesmal durch ihre Abwesenheit“ – und nannte Gentz im selben Atemzug wie Adolph Menzel.

Ein Unikum geblieben

Weil sich Fontane inzwischen auch für das Ruppiner Familiengut Gentzrode interessierte und in seinen „Wanderungen“ den Aufstieg und später dann den tiefen Fall von Wilhelms Bruder Alexander schilderte, lag es nahe, auch ein Porträt über Wilhelm Gentz zu schreiben. Der Maler unterstützte das Vorhaben, indem er Fontane 1889 nicht nur eine „autobiografische Skizze“, sondern auch Familienbriefe zur Verfügung stellte. Allerdings fand, was weniger bekannt ist, der damals längst etablierte Publizist Fontane für seinen Gentz-Aufsatz zunächst keinen Abnehmer. Mal war der Text zu lang, mal war Fontanes Honorarforderung zu hoch. Erst nach Gentz’ Tod im Sommer 1890 erschien der Beitrag im Herbst als siebenteilige Serie in der Wochenzeitschrift „Deutschland“ und zwei Jahre später in den „Wanderungen“. 

Ismael Gentz: Wilhelm Gentz, Porträtzeichnung 1891 (Ismael ist der Sohn von Wilhelm Gentz).
Quelle: wikimedia

Fontanes „Lebensbild“ über Wilhelm Gentz, in dem er ihn ausführlich selbst zu Wort kommen lässt, legte die Grundlage für die Rezeption des Künstlers. So wird sich im Katalog zur ersten postumen Gentz-Ausstellung 1890 explizit auf Fontane bezogen.

In seinen Selbstaussagen bekennt sich Gentz zu keiner Religion, zur persönlichen Freiheit als „das Ideal“ in der Politik und gegen eine „Kirchturmpolitik“, weil er nicht einsehen könne, „warum man das Fremde geringer achten soll“. Der Aufsatz endet mit einem typischen Fontane-Urteil. Wilhelm Gentz sei „unter uns ein Unikum geblieben“ und gehöre „zu den nicht vielen, an denen man sich ermutigen darf“. Fontane freue sich, mit ihm „Wand an Wand“ geboren zu sein.

 Biografie-Notiz

Wilhelm Gentz wurde vor 200 Jahren, am 9. Dezember 1822, in Neuruppin geboren. Sein Vater förderte das Talent des Sohnes, indem er den Unterricht in Privatateliers in Berlin und Paris sowie die Orient-Reisen finanzierte. Seit 1850 wurden die Orientbilder von Wilhelm Gentz regelmäßig in der Akademie der Künste ausgestellt. 1874 wurde er Akademie-Mitglied und wurde 1881 vom preußischen König zum Professor ernannt. Als Senatsmitglied wurde ihm 1882 die Leitung der Ausstellungskommission übertragen. Auf seiner letzten Reise nach Tunis schwer erkrankt, starb er am 23. August 1890 in Berlin. Er wurde auf dem Alten-St.-Matthäus-Kirchhof beigesetzt; sein Grab wurde 1965 aufgelöst.

 

Gabriele Radecke und Robert Rauh

Quelle: Märkische Oderzeitung, 3./4.12.2022

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