Eine Geisterbeschwörung – Fontane bei Katte

Schild über dem Eingang zur Katte-Gruft in Wust, Foto: Robert Rauh, 2022

von Maria von Katte

Der „6. November 1730 […] veranschaulicht in erschütternder Weise jene moralische Kraft, aus der  […] dieses gleich sehr zu hassende und zu liebende Preußen, erwuchs. […] Und doch ist der eigentliche Mittelpunkt dieser Tragödie nicht Friedrich, sondern Katte. Er ist der Held, und er bezahlt die Schuld.“ [Fontane, Das Oderland]

Wust im Westhavelland zu besuchen war ein Herzenswunsch Fontanes, der die Festung Küstrin bereits gesehen und die Katte-Tragödie beschrieben hatte. „Unsere Zeit […] hat in dem Geschehenen einen Fleck auf dem blanken Schilde der Hohenzollern erkennen wollen. Ich meinerseits erkenne darin […] einen Edelstein. Daß es ein Blutkarneol ist, ändert nichts.“ [Fontane, Das Oderland] Diese Worte von 1864 hatten die Diskussion über den eigenmächtigen Befehl des Königs zur Hinrichtung Hans Hermann von Kattes nach dem Fluchtversuch des Kronprinzen im Jahr 1730 neu entfacht. Entsprechend aufmerksam wurde der Autor […] am 16. August 1867 auf dem „alten Kattensitz“ empfangen.

Hans Hermann von Katte (1704–1730), Ölgemälde von Georg Lisiéwski, 1730
Foto: Sebastian Franke

Herrenhaus Wust, um 1870, Lithographie
Sammlung Alexander Duncker

Fontane kam mit der Erwartung, in Hans Hermanns Heimat Spuren zu finden, die sein Leben erhellen könnten; er hoffte auf Dokumente und auf eine noch spürbare Atmosphäre. Sein Ziel war, dieses europaweit mit Schaudern erinnerte Ereignis nach fast 140 Jahren, zur Zeit eines veränderten Preußens, wieder mit seiner Ursprungslandschaft zu verbinden. Das Kapitel Wust beginnt in den Wanderungen wie ein Roman mit der Kindheit Hans Hermanns und schreitet dann historisch und persönlich erzählend fort bis zu jenem Sommertag. Am Ende sehen wir, wie stark der Rundgang in Begleitung von Marie von Katte – und anderen angenehmen Damen – einer Geisterbeschwörung glich. Die Gespräche berührten die Schicksale mehrerer Familienmitglieder, vor und nach 1730, und damit die Geschichte dieses Hauses.

Hier waren im Laufe zweier Generationen mit mehrfachem Besitzerwechsel zahllose Schriftstücke und Kunstgegenstände verloren oder zerstört worden, durch Leichtsinn, Krankheit und Schicksalsschläge, am Ende durch die französischen Besatzer. Fontane betrachtete und kommentierte gerettete Porträts und kopierte Briefe des Vaters. In ihnen fand er die tiefe Erschütterung, Unverständnis, aber auch die bitter erkämpfte Treue zum König, nach der er suchte. Was er übersah oder was im Gespräch nicht berührt wurde, ist, dass Hans Hermann im sozial fortschrittlichen Glaucha zur Schule gegangen und dort vom pietistischen Geist des Gründers August Hermann Francke geprägt worden war. Fontane kannte die schönen Abschiedsbriefe Hans Hermanns und die Berichte über sein Sterben, verstand aber dessen innerlich freie und rücksichtsvolle Haltung nicht in diesem Kontext.

Nach intensiven Gesprächen begab man sich in die Kirche, und der Sammler von Menschenschicksalen geht, ohne sein Missfallen an den farbigen „Deckenmalereien“ zu verbergen, auf das steinerne Epitaph des Großvaters zu und weiter zu dem aus Holz für dessen Ältesten, der 1680 jung starb. Irrtümlich notierte er: Eine „seltsame Rokokoarbeit“, aus „Stein“ [Fontane, Havelland], und der Leser erkennt, wie stark der Ungeduldige schon die ersehnte Gruft vor Augen hatte.

Katte-Gruft (Ost-Gruft) und Kirche in Wust, 2022
Foto: Robert Rauh

„Es war ein Bild, das ich mein Lebtag nicht vergessen werde. Die Kerzen warfen helle Streifen durch das Dunkel und von der Decke herab wehte es in langen grauen Fahnen. Stein- und Eichensärge ringsum. Inmitten dieser Machtzeugen des Todes aber bewegten wir uns in der ganzen Buntheit modernen Lebens, die lange blaue Seidenrobe der einen Dame bauschte und knisterte bei jeder Bewegung […]. Ein hellblauer Seidenmantel umhüllt den Körper [Hans Hermanns]. […] Neben dem Schädel liegt eine blaue […] Schleife, die früher das schöne Haar des Toten zusammenhielt.“ [Fontane, Havelland]

Danach ging es nicht an, ins Haus zurückzukehren.

„Unser Weg führte uns zuletzt bis an die Grenze des Parks. Eine Birkenbrücke […] ging ins Freie, breite Wiesen dehnten sich vor uns, jenseits stiegen Kirchentürme auf und aus der Niederung zog ein Nebel langsam zu uns her. Es dämmerte. Und wie Dämmerung kam es über uns selbst, jener traumwache Zustand, dem Leid und Freud […] gleichmäßig zu Bild und Erscheinung werden […].“[Fontane, Havelland]

„Auch hier die Bilder der Vergänglichkeit“: Schlosspark Wust, 2022
Foto: Robert Rauh

„Was bleibet aber, stiften die Dichter.“ [Friedrich Hölderlin] Fontane schätzte Hölderlin. Ist unsere Hoffnung vermessen, dass es […] gelinge, diesem Wust als Ganzem, das wesentlich für das „gleich sehr zu hassende und zu liebende Preußen“ steht, 152 Jahre nach Fontanes Besuch eine überzeugende Gestalt für die Zukunft zu geben? Die dort gerettete Kirche mit der Gruft sollte richtungweisend sein.

Maria von Katte

DPhil (Oxon.), Literaturwissenschaftlerin, 1969 bis 2006 Mitarbeiterin der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 1991 Gründerin und bis 2006 Leiterin der „Summer School Wust“, in der Studierende aus Großbritannien, Irland und den USA Kurse in englischer Sprache, Literatur, Theater, Musik und Geschichte geben.

Quelle: Maria von Katte, Eine Geisterbeschwörung in Wust; in: Von Dorf zu Dorf, von Kirche zu Kirche. Auf Fontanes Spuren in märkischen Kirchen, hrsg. von Antje Leschonski, vbb, Berlin 2019, S. 61–64

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.