von Robert Rauh
Ist Fontanes Buch Fünf Schlösser ein eigenständiges Werk oder der fünfte Band der Wanderungen durch die Mark Brandenburg? Die Antwort des Autors ist ein typischer Fontane: Sowohl als auch! „Natürlich ist es eine Art Fortsetzung zu den ‚Wanderungen‘“, schrieb er im Mai 1888 an seinen Sohn Theodor, „aber doch etwas anderes, und will seinen eignen Weg gehen“. Auch die zeitgenössischen Rezensionen versuchten herauszufiltern, was Fünf Schlösser von den anderen Wanderungen unterscheidet. In der Vossischen Zeitung wird im November 1888 konstatiert, das Buch reihe sich würdig den Wanderungen an, „ja in gewisser Beziehung beansprucht es eine höhere Bedeutung. Denn während in dem älteren Werke, dem Charakter desselben entsprechend, meist nur der fröhliche Plauderer zu uns spricht, redet hier der ernste Forscher“.

Will seinen eigenen Weg gehen: Fünf Schlösser, Erstausgabe, 1889
Foto: Robert Rauh
Die Leserschaft war offenbar irritiert, denn obwohl die zeitgenössische Kritik wohlwollend reagierte, wurde Fünf Schlösser zu Fontanes Lebzeiten nur einmal aufgelegt. Dagegen erreichte der erste Wanderungen-Band, die Grafschaft Ruppin, fünf Auflagen.
Fontane verunsicherte das nicht. Er hielt Fünf Schlösser „für reifer und besser als die Bände der ‚Wanderungen‘ und dass das Publikum anders zu urteilen scheint“, schrieb er 1893 an Georg Friedlaender, „kann mich nicht umstimmen“. Dabei hatte er die Leser in seinem Vorwort nicht im Unklaren gelassen: Es sei mit allem Vorbedacht von ihm vermieden worden, das „Buch einfach als eine Fortsetzung meiner ‚Wanderungen‘ zu bezeichnen oder gar in diese direkt einzureihen“. In den ‚Wanderungen‘ werde wirklich gewandert, „immer bin ich unterwegs, immer in Bewegung und am liebsten ohne vorgeschriebene Marschroute, ganz nach Lust und Laune“.
Das sei nun anders: Während die ‚Wanderungen‘ „Plaudereien oder Feuilletons“ seien, bezeichnet er Fünf Schlösser als „historische Spezialarbeiten, Essays“, für die er „eine bestimmte Fahrt oder Reise machte, nicht eine Wanderung“. Diese Unterscheidung wurde jedoch nicht konsequent umgesetzt. Die Grenzen zwischen launiger Wanderung und gezielter Fahrt sind sowohl in den Wanderungen als auch in den Fünf Schlössern schwimmend.
„Nur“ der topografische Zugriff
Dass Fünf Schlösser im Vergleich zu den vier Bänden der Wanderungen dennoch mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten aufweist, ist auf die Konzeption zurückzuführen, die sich nicht aus dem Titel erschließt. Denn dieser weckt damals wie heute andere Erwartungen. Allein der Begriff „Schlösser“ sei anfechtbar, wie Fontane im Vorwort augenzwinkernd anmerkt. „Herrensitze“ wäre die richtige Bezeichnung gewesen, „aber unsere Mark, die von jeher wenig wirkliche Schlösser besaß, hat auf diesem wie auf jedem Gebiet immer den Mut der ausgleichenden Titulatur gehabt“.
Die Märker des 21. Jahrhunderts stehen dem in nichts nach, denn Liebenberg, Hoppenrade, Plaue und Quitzöbel werden bis heute als Schlösser bezeichnet. Und auch die Abrissakte von Dreilinden ziert der Begriff „Jagdschloss“, obwohl das Gebäude eher einer Villa glich. „Nur Plaue“, konstatiert Fontane, „war wohl wirklich ein Schloss“.

Auf Schlösser-Tour: Fontanes Notizbuch „Schloss Plaue“, A16 Cover, 1875
Quelle: Digitale Notizbuchedition, hrsg. von Gabriele Radecke

Nur Plaue war wohl wirklich ein Schloss: Fontanes Skizze, Notizbuch A16, 1875
Quelle: Digitale Notizbuchedition, hrsg. von Gabriele Radecke
Etwas irritierend erscheint auch die Auswahl der Schlösser. Haben wir es bei den Wanderungen mit einem jeweils geschlossenen geografischen Raum zu tun, sind die fünf Schlösser scheinbar kreuz und quer in Brandenburg verteilt. 130 Jahre und ein paar Landkreis-Reformen später wirkt das genauso: Liebenberg und Hoppenrade befinden sich im Löwenberger Land, Quitzöbel in der Prignitz, Plaue ist ein Ortsteil von Brandenburg an der Havel und Dreilinden liegt im Berliner Bezirk Zehlendorf; Ende des 19. Jahrhunderts gehörte Dreilinden zum brandenburgischen Kreis Teltow.
Fontanes Entscheidung ist jedoch keine zufällige. Denn die Schlösser stehen gar nicht im Mittelpunkt. Sie sind „nur“ der topografische Zugriff für Fontanes alte und neue Geschichte(n) der Mark Brandenburg, die er anhand der Adelsfamilien erzählt, die in den Herrensitzen residierten. Diesem konzeptionellen Ansatz folgt auch die Auswahl der Schlösser. Die Geschichten ihrer Besitzer sind die Marksteine für eine sich über 500 Jahre erstreckende Darstellung der Geschichte Brandenburgs, die mit der berühmten Quitzowfamilie im 14. Jahrhundert beginnt (Schloss Quitzöbel) und mit dem Tod des preußischen Prinzen Friedrich Karl, des legendären Roten Prinzen (Jagdschloss Dreilinden), im Jahr 1885 schließt.

1954 abgerissen: Jagdschloss Dreilinden, Zeichnung, vermutlich 1880
Quelle: E. Friedel/O: Schebel, Bilder aus der Mark Brandenburg, Verlag von Otto Spamer, Leipzig 1881.
Der Unterschied zu den Wanderungen wird auch hinsichtlich der Intention deutlich: Obwohl Fontane im Vorwort darauf hinweist, dass mit Ausnahme der Quitzowzeit „nicht jeder Abschnitt“ der brandenburgischen Geschichte zu seinem Recht komme, „aber doch immerhin zur Erwähnung“, erhebt er den Anspruch eine historische Forschungsarbeit vorgelegt zu haben: Wenn sich „auf dem Gebiete der eigentlichen Landesgeschichte sicherlich breiteste Lücken finden, so finden sich dafür auch Mitteilungen und Beiträge, die vielleicht geeignet sind, auf dem Gebiete der Kulturhistorie vorhandene Lücken zu schließen“.
Wanderungen-Reserven
Die Gemeinsamkeiten mit den Wanderungen sind der Entstehungsgeschichte von Fünf Schlösser geschuldet. Denn die ersten Vorarbeiten entstanden bereits in den1860er und 1870er Jahren. Aber nicht für das – zu der Zeit noch gar nicht entwickelte – Projekt Fünf Schlösser, sondern für die Wanderungen. Nachweisen lässt sich das am Beispiel Hoppenrades, das dem ältesten Interesse Fontanes galt. Als er das kleine märkische Dorf 1861 erstmals besuchte, ist die Beschreibung des „verwunschenen Schlosses“ von einer bemerkenswerten Unkenntnis über dessen Geschichte gekennzeichnet. „Es lag da wie herrenloses Eigentum“, schreibt der Wanderer. Und stellt überrascht fest: „Niemand aber kam, uns zu begrüßen, freilich auch niemand, uns den Zutritt zu wehren, und so halfen wir uns denn schließlich selbst, öffneten die nur angelegte Tür“.
Fontane war weder angemeldet noch wusste er, wem das Schloss gehörte. Zudem erfuhr er erst vor Ort und eher durch Zufall von der berühmtesten Schlossherrin, der legendären Krautentochter, die später im Hoppenrade-Kapitel die Hauptrolle übernehmen wird. Eine achtzigjährige Dorfbewohnerin, „de Oll-Stägemannsch“, die bei der Krautentochter als Kindermädchen im Schloss gearbeitet hatte, verriet dem Neugierigen portionsweise die wichtigsten Ereignisse aus dem Leben der Charlotte von Kraut: drei Ehen, ein Duell und eine Entführung. Völlig elektrisiert verließ Fontane Hoppenrade, „fest entschlossen, das Dunkel nach Möglichkeit zu lichten“. Von einer gezielten Reise – im Gegensatz zu einer launigen Wanderung –, was Fontane im Vorwort noch als Kriterium für die Fünf Schlösser formulierte, kann in diesem Fall also nicht die Rede sein.

Nicht mehr verwunschen: Schloss Hoppenrade, 2015
Foto: Robert Rauh
Hoppenrade war auch nicht für eine „historische Spezialarbeit“ vorgesehen, sondern für die Überarbeitung der Grafschaft Ruppin, dem ersten, im Herbst veröffentlichten Wanderungen-Band. Weil die Recherchen über die Krautentochter ins Stocken gerieten, erschien die zweite Auflage der Grafschaft Ruppin ohne Hoppenrade. Auch die dritte Auflage 1873. Weil alle weiteren Nachforschungen ergebnislos verliefen, wollte Fontane aufgeben. Er hatte seinen „ersten Besuch in Hoppenrade fast schon vergessen, als ein glücklicher Zufall“ ihn 1880 von einer Chronik der Familie Knyphausen, aus der der zweite Ehemann der Krautentochter stammte, erfahren ließ. In ihr fand er „wahre Schätze“. Seiner Frau prognostizierte er im Juli 1880, dass der Hoppenrade-Teil dank des „wunderschönen Stoffs“ einer „der brillantesten“ werden müsse.
Wem Fontane das Recherche-Glück verdankte, verrät er in Fünf Schlösser nicht: Philipp Graf zu Eulenburg aus Liebenberg, ein Nachbargut von Hopperade. Der Schlossherr half dem Dichter nicht ganz uneigennützig. Er kannte die Wanderungen, lud den Dichter mehrmals nach Liebenberg ein und versprach, diese „Wanderung“ werde ihn in einen „der hübschesten Orte der Mark“ führen.

Schaffte es auch nicht in die „Wanderungen“: Schloss Liebenberg mit Kaiserbrunnen, 2016
Foto: Robert Rauh
Eulenburg rannte bei Fontane offene Türen ein, denn dessen Interesse an Liebenberg und der Familie Hertefeld, die das Gut vor den Eulenburgs besaßen, reicht auf die ersten 1870er Jahre zurück. Aber wie Hoppenrade schaffte es auch Liebenberg nicht in die Wanderungen.
Kein Besuch im Schloss
Es muss vermutet werden, dass Fontane nur vier der fünf Schlösser besichtigt hat. In Quitzöbel begleitet der Leser den Dichter nicht ins Schloss, sondern auf den Turm der Dorfkirche. Und nur bei dieser „Umschau“ auf dem Kirchturm wird das „gegenwärtige Schloss Quitzöwel“ erwähnt. Die Neugierde Fontanes beschränkte sich auf „die Stelle, wo die Stammburg der berühmten Quitzowfamilie stand“. Beschrieben werden nur die mittelalterlichen Reste. Dann heißt es kurz und knapp: „Sonst verlautet nichts von Beschaffenheit und Umfang der ursprünglich hier gelegenen Quitzowstätte“.

Umschau vom Kirchturm: Schloss Quitzöbel, 2002
Foto: T. Foelsch, Groß Gottschow
Warum Fontane den Leser im Unklaren lässt, ob er überhaupt das Schloss betreten hat, wird nicht mehr zu klären sein. Bewiesen ist jedoch etwas anderes: Nirgends wird der topografische Zugriff deutlicher als in Quitzöbel. Das „gegenwärtige Schloss“ ist nur interessant als Nachfolger der Stammburg der Quitzows, mit der Theodor Fontane in Fünf Schlösser seine 500-jährige Chronik der Mark Brandenburg eröffnet.
Zitation
- Rauh, Robert: Fontanes Fünf Schlösser – mehr als eine Fortsetzung der Wanderungen?, hrsg. v. Fontane ONLINE, 07.12.2025, URL https://fontane-online.de/fontanes-fuenf-schloesser-mehr-als-eine-fortsetzung-der-wanderungen/
Titelbild
- Schloss Liebenberg, Parkseite, 2016; Foto: Robert Rauh
Literatur
- Fontane, Theodor: Fünf Schlösser. Altes und Neues aus Mark Brandenburg, Verlag Wilhelm Hertz, Berlin 1889.
- Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Band 5. Fünf Schlösser, hrsg. von Gotthard Erler und Rudolf Mingau. Aufbau-Verlag, Berlin 1994.
- Lorenz, Erik/Rauh, Robert: Fontanes Fünf Schlösser. Alte und neue Geschichten aus der Mark Brandenburg. be.bra verlag, Berlin 2017. h
- Rauh, Robert: Fünf Schlösser; in: Theodor Fontane Handbuch. Band 1, hrsg. von Rolf Parr, Gabriele Radecke, Peer Trilcke und Julia Bertschik, De Gruyter, Berlin/Boston 2023, S. 501–508.
Weblinks
- Fontanes Fünf Schlösser; in: Fontanes Wanderungen (Website)
Weitere Beiträge zu Fontanes Rezeption
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