Fontanes „Wanderungen“ – von Männern dominiert?

von Gabriele Radecke und Robert Rauh

Theodor Fontanes „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ werden von Männern dominiert. Sie handeln primär von Männern – und sie sind auch vorwiegend für sie geschrieben. Während in Fontanes Romanen Frauenfiguren im Mittelpunkt stehen, überwiegen in dem vierbändigen Monumentalwerk Männerthemen und -biografien. Seinen Landsleuten wollte der Autor zeigen, dass es in Brandenburg neben Städten, Schlössern und Seen auch Schritt für Schritt tüchtige Kerle gäbe.

Wie sehr die Männer in den „Wanderungen“ das Feld beherrschen, zeigt exemplarisch das „Neuruppin“-Kapitel, das Lebensbilder von Andreas Fromm, Kronprinz Friedrich, General Günther, Karl Friedrich Schinkel, Michel Protzen, Gustav Kühn, Johann Christian und Wilhelm Gentz enthält. Alles Männer. Nicht ein einziges Unterkapitel ist hier einer Frau gewidmet.

 

Auf Schritt und Tritt nur „tüchtige Kerle“: Denkmal für Kronprinz Friedrich in Rheinsberg („Die Grafschaft Ruppin“), Postkarte, um 1890
Quelle: Archiv Rauh

Männliches Lesepublikum

Die Orientierung auf ein männliche Lesepublikum verdeutlicht auch der Entwurf für das Vorwort des ersten „Wanderungen“-Bandes (1865), der im Notizbuch von 1864 überliefert ist: Er spricht hier von dem Mann ders wagen kann, ihm nachzureisen, und beginnt mit der vertrauten Anrede Mein lieber Freund, die er für den Druck dann etwas abschwächend in Lieber Freund umformulierte. In der dritten Auflage (1875) ersetzt er diese persönliche Anrede durch die funktionale Überschrift „Vorwort zur zweiten Auflage“.

Fontane hatte mit seinen „Wanderungen“ also nicht die vielen belletristischen Leserinnen im Blick, sondern orientierte sich vielmehr an dem traditionellen Lesekodex des 19. Jahrhunderts, der Frauen wie bei einer „Grand Tour“, einer Bildungs- und Besichtigungsreise, ausschloss. Auf seinen Streifzügen durch die Mark bevorzugte er männliche Freunde und Bekannte wie den Verleger Wilhelm Hertz, den Garnison-Schullehrer Heinrich Theodor Wagener, den Kunsthistoriker Wilhelm Lübke sowie den Offizier und Schriftsteller Bernhard von Lepel, mit dem er im Spätsommer 1858 auch Schottland bereist hatte.

Mit detaillierten Beschreibungen von berühmten Schlachten und erfolgreichen Regimentern oder auch von Besitzverhältnissen märkischer Herrensitze und Lebensläufen von Königen und Adligen bediente der „Wanderungen“-Autor vorwiegend das Lese-Interesse von Männern. Daher verwundert es nicht, dass die meisten Kapitel als eigenständige Beiträge – im Unterschied zu seinem erzählerischen Werk – zunächst nicht in Frauen- oder Familienzeitschriften veröffentlicht wurden, sondern in Journalen mit männlicher Leserschaft wie etwa im „Wochenblatt der Johanniter-Ordens-Balley Brandenburg“. Einen Sonderfall bildete unter anderem die „Illustrirte Frauenzeitung“, in der zwei „Wanderungen“-Kapitel erschienen.

Sonderfall für Fontanes Erstdrucke: „Illustrirte Frauen-Zeitung“ (Titelblatt), 1882

Bildnachweis: Deutsche Digitale Bibliothek

Die ungenannten Helferinnen

In den „Wanderungen“ ungenannt blieben zudem Frauen aus Fontanes privatem Umfeld, die ihn bei der Recherche und beim Networking unterstützt haben. Ohne ihre langjährige, zuverlässige und ehrenamtliche Zuarbeit hätte er sein Lebenswerk nicht bewältigen können. Weibliche Familienmitglieder und Freundinnen übernahmen einen Teil der Korrespondenz mit Pfarrern, Lehrern und Regionalhistorikern und trugen auf diese Weise Abschriften von Kirchenbüchern, Briefen und Tagebuchaufzeichnungen sowie Memoiren aus Nachlässen zusammen, die der Autor häufig wörtlich in seine Texte integrierte.

Seiner Schwester Elise, die ihn auf einigen wenigen Ausflügen begleitete, verdankte Theodor Fontane die Beschaffung von entlegener Fachliteratur. Mathilde von Rohr, seine engste Vertraute, vermittelte viele Kontakte zu den adeligen Schloss- und Herrenhausbewohnern. Sie war ihm, resümiert Fontane, bei seinen Arbeiten vom allergrößten Nutzen – als Anekdotenlieferantin, als brillante Erzählerin alter Geschichten aus Mark Brandenburg sowie als Beschafferin von fix und fertige[n] Beiträgen […], die nur ein wenig der Zurechtstutzung durch den Autor bedurften.

Und schließlich sorgte der selbstlose Einsatz seiner Frau Emilie für einen beschleunigten Produktionsprozess: Sie fertigte unzählige Abschriften für das Satzmanuskript an. Zu Fontanes Wanderer-Gesellschaft gehörte Emilie hingegen nicht, obwohl ihr auf allen – im Fontanejahr 2019 aufgestellten – Informationstafeln in den „Wanderungen“-Orten eine eigene Rubrik „Emilie erzählt“ eingerichtet wurde.

Fontane war sich durchaus bewusst, dass er auf zahlreiche Unterstützer angewiesen war. Am Schluss seines letzten „Wanderungen“-Bandes („Spreeland“) bedankte er sich ausführlich bei seinen über die halbe Provinz hin zerstreuten Mitarbeiter[n]. Er dachte dabei vor allem an die hauptsächlichsten: an die märkischen alten Familien (den Land- und Landesadel), an die Landpastoren und schließlich auch an die Lehrer in Stadt und Land. Seine vielen Helferinnen hingegen wurden nicht einmal in einer Fußnote erwähnt.

Dank (nur) an die männlichen Mitarbeiter: Fontanes „Wanderungen“-Band: „Spreeland“, Erstausgabe (Titelblatt), 1882

Quelle: Archiv Rauh

Eine Ausnahme ist Mathilde von Rohr. Nachdem sie 1889 gestorben war, holte Fontane zumindest in ihrem Fall die längst überfälligen Dankesschulden nach. Allerdings erschien das Kapitel „Mathilde von Rohr“ nicht wie ursprünglich vorgesehen in der „Wohlfeilen Ausgabe“ der „Wanderungen“ (1892), sondern lediglich als Beitrag in der Familienzeitschrift „Daheim“ im März 1892.

Frauen-Porträts in den „Wanderungen“

Dennoch: Die „Wanderungen“ sind keine reine Männerdomäne. In den vier Bänden finden sich immer wieder Frauenfiguren, denen Fontane zumindest ein Unterkapitel gewidmet hat. Auch wenn es vor allem Adlige sind, die Fontane porträtiert, reicht die Palette doch von der bürgerlichen Elisabeth Friedrich bis hin zu einer Königin, Luise von Preußen. Allerdings relativiert Fontane deren Bedeutung – auf mehreren Ebenen.

Ausnahme in den „Wanderungen“ („Havelland“): Die Schauspielerin Rachel Félix, Ölgemälde von William Etty, 1845

Quelle: York Museums Trust/Wikimedia

Aufnahme in den „Wanderungen“ nur einem Mann zu verdanken („Spreeland“): Die Mätresse Julie von Voß, Porträt von Johann Heinrich Schröder, um 1785.

Quelle: SPSG

 

Ihre Berücksichtigung haben sie – bis auf wenige Ausnahmen wie die Schauspielerin Rachel Félix – einem Mann zu verdanken, meist dem Gatten. So ist Karoline von Zeuner („Prinzessin Goldhaar“) zunächst nur von Interesse, weil es sich bei der Biografie ihres Ehemanns, des französischen Emigranten Charles de la Roche-Aymon, um eine Geschichte handelt, ‚die den Roman auf seinem eignen Felde schlägt‘. Die Lebenswege der Schwägerinnen, Emilie von Schlabrendorf und Johanna von Scharnhorst, werden nur deshalb skizziert, weil sie – im Rahmen des historischen Abrisses über die Besitzverhältnisse der Güter Gröben und Siethen – nach dem frühzeitigen Tod ihrer Ehemänner die Rolle der Gutsherrin übernehmen mussten. Und Julie von Voß gerät nur deshalb in den Fokus Fontanes, da sie die Mätresse des Königs war.

Eine zum Teil subtile Relativierung ihrer eigenständigen Leistungen lässt sich auch in den einzelnen Porträts nachweisen. Sabine Cusig und Karoline de La Roche-Aymon werden vor allem auf ihr Äußeres reduziert, die Inselwirtin Elisabeth Friedrich wird als absolutistische Herrscherin ironisiert, die Verdienste der Agrarpionierin Helene Charlotte von Friedland (Titelbild) konzentrieren sich überwiegend auf ihre Ernteerfolge, der angeblichen Geliebten des Kronprinzen Friedrich, Louise von Wreech, wird im Alter – ausgerechnet im Unterschied zum gefühlskalten König – Engherzigkeit attestiert, weil sie auf den empathischen Brief Friedrichs II. mit finanziellen Forderungen für ihr vom Krieg zerstörtes Gut reagierte. Und Königin Luise hält nur als Tote Einzug in die „Wanderungen“, konkret in Gransee, wo ihr Sarg eine Nacht aufgebahrt wurde.

Hält nur als Tote Einzug: Das Luisen-Denkmal in Gransee („Die Grafschaft Ruppin“), Postkarte mit einer kolorierten Lithografie, 19. Jahrhundert.

Quelle: Archiv Amt Gransee und Gemeinden

Keine Gleichberechtigung in den „Wanderungen“

Keine Erwähnung finden hingegen brandenburgische Kurfürstinnen wie Anna von Preußen (1576–1625), die der Mark Brandenburg große Territorialgewinne verschaffte, oder Luise Henriette von Oranien (1626–1667), die nicht nur als Ehefrau des Großen Kurfürsten, sondern auch als wichtige politische Ratgeberin in die Geschichte eingegangen ist. Ebenfalls nicht porträtiert werden die emanzipierten Frauen, die sich für politische Veränderungen einsetzten wie die Gutsherrin und Sozialreformerin Christiane Louise von Rochow (1734–1808) aus Reckahn oder die SPD-Politikerin Emma Ihrer (1857–1911) aus Velten. Für Fontane waren unabhängig agierende und politisch engagierte Frauen kein Thema. Auch nicht in seinen Romanen. Der Autor mag sich für einen Frauenschwärmer gehalten haben, mit der Frauenbewegung konnte er sich nicht identifizieren. In den „Wanderungen“ findet keine Gleichberechtigung statt – nicht einmal ein Streben danach.

 


Zitation


Titelbild

  • Helene Charlotte von Friedland, Ölgemälde, unbekannter Künstler („Spreeland“); Foto: Gregor Rom

Literatur: „Wanderungen“ (Erstausgaben und Große Brandenburger Ausgabe)

  • Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. 4 Bände, Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), Berlin 1862–1882.
  • Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. 8 Bände, hrsg. von Gotthard Erler und Rudolf Mingau, 2. Auflage, Aufbau Verlag, Berlin 1994 (Große Brandenburger Ausgabe).

Weiterführende Literatur:

  • Fontane, Theodor: Wundersame Frauen. Weibliche Lebensbilder aus den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, hrsg. von Gabriele Radecke und Robert Rauh, Manesse Verlag, Zürich 2019.

Weblinks

  • Fontane, Theodor: Notizbücher. Digitale genetisch kritische und kommentierte Edition, hrsg. von Gabriele Radecke, Göttingen 2015 ff.

Weitere Artikel zu Fontanes Reisen:


Weitere Beiträge zu Fontanes Rezeption

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.